Es war die entscheidende Schlacht des Deutsch-Französischen Krieges. Anfang September 1870 siegten die deutschen Truppen bei Sedan über das französische Heer. 21.000 Soldaten gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Kurz darauf kapitulierte die französische Armee, und weitere 86.000 Franzosen wurden gefangengenommen. Die Gefangenen wurden zum Arbeitseinsatz ins Deutsche Reich deportiert. Überlegungen zum Bau des Ems-Vechte-Kanals hatte es bereits seit den 1830er Jahren gegeben. Der neue Kanal sollte die Ems bei Hanekenfähr mit der Vechte in Nordhorn verbinden, doch machte man sich nach dem Kriegsausbruch im Juli wenig Hoffnung auf baldige Realisierung. Nun aber erreichte den Osnabrücker Landdrost von Quadt die Anfrage, ob zum Bau des Kanals der Einsatz von Kriegsgefangenen in Frage käme. Der antwortete, dass sofort mit dem Arbeitseinsatz begonnen werden könnte. Es galt, ein fast 22 Kilometer langes Kanalbett mit einer Sohlenbreite von 8,50 Metern und einer Tiefe von knapp 2 Metern auszuheben.
Zum Bau eines linksemsischen Kanalsystems wurden umgehend drei Gefangenenlager errichtet, eines in Papenburg, eines in Emmeln und das dritte in Hanekenfähr. Das Lager in Hanekenfähr wurde Ende September in kaum zwei Wochen unmittelbar hinter der Eisenbahnbrücke aufgebaut. Auf dem Gelände befindet sich heute das Stahlwerk Benteler. Es erhielt den Namen „Neu-Sedan“. Weitere Baracken entstanden auf der Arbeitsstrecke entlang des anvisierten Kanalverlaufs. Die ersten 1050 für Lingen bestimmte Kriegsgefangenen erreichten am 6. Oktober den Lingener Bahnhof. Zwei Tage später wurden weitere 1050 Kriegsgefangene nach Lingen überführt. Das für 2100 Personen konzipierte Lager in Hanekenfähr war damit voll belegt. Mit den Kriegsgefangenen kam auch eine starke Wachmannschaft zu ihrer Beaufsichtigung in die Stadt. Ihre Soldaten wurden größtenteils bei der Lingener Bevölkerung einquartiert.
Für die Lingener war die Ankunft der französischen Soldaten eine Attraktion. Der Lingener Volksbote berichtete enthusiastisch von „Infanteristen mit rothen Hosen, Cavalleristen mit der blauen und Zouaven mit der reichverzierten Uniform, Turcos in der reinen orientalischen Tracht neben dem schwarzen Afrikaner mit seinem großen weißen Mantel“. Lingener Schiffseigentümer boten kostenpflichtige Vergnügungsfahrten zum Kriegsgefangenenlager an. Auf Wunsch legte sogar der Zug bei Hanekenfähr einen außerplanmäßigen Zwischenstopp ein. Und die Lagerleitung verkaufte Eintrittskarten zum Besuch des Lagers. Nahe des Wachhauses hatten sich bald einige Restaurationslokale angesiedelt. Und so konnten die neugierigen Lingener auf ihrem Ausflug sehen, wie die Gefangenen Holz sägten, am Emsufer ihre Wäsche wuschen oder fischten, wie sie in den Baracken auf ihren Strohsäcken lagen, sangen, Karten spielten, sich die Haare schnitten oder ihre Kleidung ausbesserten.
Viele Franzosen schnitzten kleine Kunstgestände: Figuren, Schiffchen, Dosen und dergleichen. Mit ihnen ließ sich Handel treiben. Die entsprechenden Kontakte mit der Einwohnerschaft waren schließlich vorhanden. Angesichts der Sprachbarriere verständigte man sich einfach mit Handzeichen. Mitte November wurde das Lager allerdings wieder für den Publikumsverkehr geschlossen. Als Grund wurden „mehrere Unregelmäßigkeiten“ genannt, „die die Disziplin unter den Gefangenen erschweren“. Ohnehin war es von Anbeginn an verboten gewesen, sich nach Anbruch der Dunkelheit dem Lager zu nähern. Die Wachposten waren bewaffnet und schossen im Zweifelsfall scharf. Einige Gefangene wagten dennoch die Flucht, so etwa Jean Baptiste Baisso, der im Januar 1871 bei einem entsprechenden Versuch erschossen wurde.
Die hygienischen Zustände im Gefangenenlager waren schlecht. Hinzu kamen die winterlichen Temperaturen. In den Baracken mussten die Gefangenen Mantel tragen, und das Regenwasser sickerte durch das Dach. Unter diesen Umständen war die Zahl der Kranken entsprechend hoch. Rund die Hälfte der Soldaten, die die Lingener Kriegsgefangenschaft nicht überlebten, starb an Typhus. Auch die Ruhr und Lungenentzündungen forderten regelmäßig Opfer. Allein bis Ende des Jahres 1870 starben 23 Kriegsgefangene. Ihre Zahl sollte weiter steigen.
Noch bevor der Friedensschluss in Frankfurt am 10. Mai 1871 das Ende des deutsch-französischen Krieges besiegelte, wurde das Lager in Hanekenfähr geschlossen. Nach sechseinhalb Monaten verließen die französischen Kriegsgefangenen am 19. und 20. April „Neusedan“, um in Wesel untergebracht zu werden. Am 20. April zogen auch die Wachmannschaften ab. Zurück blieben nur kranke Kriegsgefangene. Die meisten von ihnen reisten am 20. Mai ab. Am 9. und 10. Juni 1871 wurden die Baracken in Hanekenfähr, in Emmeln und Papenburg auf Abriss versteigert.
Die 101 verstorbenen Kriegsgefangenen fanden auf dem Alten Friedhof ihre letzte Ruhe. Zunächst erhielten sie Einzelgräber mit Holzkreuzen. Für die gestorbenen Landsleute ließ Frankreich auf dem Friedhof außerdem ein Steindenkmal errichten, ähnlich vielen anderen französischen Denkmalen des deutsch-französischen Krieges. 1876 schloss die Stadt Lingen mit der Landdrostei Osnabrück einen Vertrag, in dem sie sich zur weiteren Pflege der Gräber und des Denkmals verpflichtete. Bis 1890 sollten die Einzelgräber erhalten bleiben. Danach sollten sie in ein auf acht Erbbegräbnisplätzen angelegtes Massengrab umgebettet werden. Hierhin sollte dann auch das Monument umgesetzt werden. Das Denkmal geriet allmählich in Vergessenheit. Als die französischen Behörden 1961 alle außerhalb Frankreichs errichteten französischen Denkmale zu erfassen suchten und eine entsprechende Anfrage auch die Lingener Stadtverwaltung erreichte, meldete man Fehlanzeige.