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Das Osterfest 1945 stand in Lingen unter dem Zeichen der heranrückenden Front. Am Ostermontag, dem 2. April, nahmen die Briten Nordhorn ein und rückten bis nach Schepsdorf vor. Am Osterdienstag wurde in Lingen Feindalarm gegeben, und die Menschen zogen in Scharen aus der Stadt. Am Mittwoch drangen schließlich die ersten britischen Fußtruppen und Panzer in die Stadt ein. Auf deutscher Seite galt der Befehl, die Stadt militärisch zu verteidigen, und so kam es zum Häuserkampf. Der Widerstand kam für die Briten überraschend, ihren Vormarsch nennenswert verzögern konnte er jedoch nicht. 118 deutsche Soldaten und 27 Zivilisten fanden so den Tod. Am Donnerstag Abend war Lingen fest in britischer Hand.
Die meisten Lingener waren bei Verwandten oder Freunden in den benachbarten Orten untergekommen. Sie kehrten am Wochenende in die Stadt zurück. Fast alle fanden ihre Wohnung verwüstet vor. Überall in der Stadt brannte es. Rund dreißig Häuser waren durch Artilleriebeschuss oder Flammenwerfer vollständig zerstört, darunter das Drostenamtshaus und die Alte Apotheke an der Elisabethstraße. Der Häuserblock zwischen Marktplatz und Burgstraße war völlig niedergebrannt. Schwere Schäden fanden sich auch in der Lookenstraße und am Krankenhaus. Zwischen Kleinbahnhof und Parkstraße lagen drei Panzer und ein Sturmgeschütz. Mit einer Ausnahme waren alle wichtigen Brücken gesprengt. Die Strom-, Gas- und Wasserversorgung war zusammengebrochen.
Die Pastoren Kruse und Hilling zogen mit einem Totengräber durch die Stadt, um die Leichen zu bergen und schließlich zu beerdigen. Doch nicht nur Menschen, auch tote Pferde lagen überall in den Straßen herum. Es kam zu Diebstählen, Plünderungen und Vergewaltigungen. Immer wieder gab es Tote und Verletzte durch explodierende Minen und herumliegende Munition. Ein englischer Bericht erwähnte „viele weinende Zivilisten“ und „eine Menge weißer Flaggen“.
Am Freitag Vormittag (6. April) begann eine Einheit der britischen Militärregierung unter Major Glassford damit, die Ordnung wiederherzustellen. Sie richtete ihr Hauptquartier in der Färberei Ubl (Am Markt 9/10) ein, verkündete eine Ausgangssperre und bereitete erste Personalentscheidungen vor. Da alle führenden Personen aus Lingen geflohen waren, setzte sie Hermann Faust, Ortsleiter der NS-Winterhilfe, als Headman von Lingen ein. Schon am 7. April wurde er von Stadtkämmerer Franz Kalbhen ersetzt, der wiederum am 10. April dem ehemaligen Zentrums-Ratsmitglied Clemens Brackmann weichen mußte.
Neuer kommissarischer Landrat wurde am selben Tag Wolbert Schäfer. Zwei Wochen später wurde dann Emanuel Graf von Galen zum Landrat ernannt. Von Galen war spätestens Anfang 1932 der NSDAP beigetreten. Als er jedoch 1935 von illegalen Anglern darauf hingewiesen wurde, dass das zweite Reich mit seinen adligen Privilegien vorbei sei, konterte er mit einem „Ich sch… was auf das Dritte Reich“. NS-Bürgermeister Plesse hatte daraufhin seinen Parteiausschluss verfügt, wogegen sich von Galen damals vergeblich wehrte.
Zwar besetzte die Militärregierung die führenden Stellen von Stadt und Kreis schrittweise um, doch geschah dies weniger konsequent als pragmatisch. Der am 9. April in die Stadt zurückgekehrte Bürgermeister van der Brelie wurde umgehend seines Amtes enthoben. Am 18. April wurde die Ablösung von Sparkassendirektor Möhle verfügt, am 12. Juni der frühere Landrat Wege verhaftet. Damit nahm die – zunächst auf leitende Personen beschränkte – Entnazifizierung ihren Anfang. Die von den Nationalsozialisten vorgenommenen Straßenbenennungen wurden mit Ausnahme der Bernd-Rosemeyer-Straße bereits Ende April wieder rückgängig gemacht.
Das drängendste Problem war zunächst allerdings, den Zugang zu Brot und Trinkwasser zu gewährleisten. Lebensmittelkarten wurden eingeführt. Für Brot musste man anfangs bis zu vier Stunden lang anstehen. Am 9. April wurde die Wasserversorgung wiederhergestellt, am 14. April die Stromversorgung, im Mai schließlich die Gasversorgung. Requirierungen wurden durchgeführt, Häuser beschlagnahmt und Männer zum Arbeitsdienst eingeteilt, um die Straßen von Schutt zu befreien. Da Deutschland noch nicht kapituliert hatte, wurde der Alltag außerdem von zahlreichen Anordnungen und Verboten reguliert.
Auch die Unterbringung der Displaced Persons, der befreiten ausländischen Zivil- und Zwangsarbeiter, wurde früh als zentrale Aufgabe erkannt. Parallel zur Militärregierung war am 6. April deshalb auch das Relief Military Government Detachment Nr. 205 eingezogen. Die Displaced Persons wurden zunächst in ihren Lagern registriert und dann in die als zentrales DP-Auffanglager eingerichtete Artillerie-Kaserne übergesiedelt. Im Laufe des Monats stieg ihre Zahl dort auf über 2000.
Im Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht. Für Europa war der Zweite Weltkrieg damit zu Ende. Es sollte jedoch noch Jahre dauern, bis die schlimmsten Kriegsschäden beseitigt waren und sich das Leben wieder normalisierte.
Quellen und Literatur