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Das erste Kernkraftwerk der Bundesrepublik nahm 1962 im bayrischen Kahl den Betrieb auf. Die Kraftwerke in Rheinsberg, Jülich und Karlsruhe befanden sich noch im Bau und mit dem Bau des ersten Großkraftwerkes in Gundremmingen war noch nicht begonnen worden, als VEW und AEG am 3. März 1964 unter dem Namen „Kernkraftwerk Lingen GmbH (KWL)“ eine gemeinsame Tochtergesellschaft gründeten, die ein zweites Großkraftwerk in Darme errichten sollte. Anfangs war auch ein Standort in Westfalen im Gespräch. Mit 252 Megawatt elektrischer Bruttoleistung sollte es das bis dahin größte Kernkraftwerk der Bundesrepublik werden. Bereits im Vorfeld hatte VEW mehrere Hektar Land nahe Hanekenfähr erworben. Der Hof Reckert musste dem Vorhaben weichen. Auf Darmer Grund sollte auch das Umspannwerk entstehen, obwohl zwischenzeitlich auch über Elbergen nachgedacht worden war.
Eine Straßenbefragung der Lingener Tagespost offenbarte zwar eine gewisse Verunsicherung in der Bevölkerung – ein Befragter äußerte die Angst einiger Leute, „wir könnten hier alle in die Luft fliegen“ – insgesamt aber schien die Stimmung eher positiv-abwartend. Ein Leserbrief sah die potenzielle atomare Gefahr hinreichend durch die Wissenschaft entkräftet und machte sich lediglich Sorgen um den guten Ruf von Hanekenfähr als Naherholungsgebiet. Positiv reagierte auch die regionale Politik, allen voran der Darmer Bürgermeister Berning, der sich über erhöhte Steuereinnahmen und neue Arbeitsplätze freute. Geplant waren immerhin 110 bis 140 Mitarbeiter. Auch der Lingener Stadtdirektor Pelz begrüßte das Projekt. Zwischen Darme und Lingen bestand dabei durchaus eine gewisse Konkurrenz. So versuchte Lingen, den Firmensitz des Kernkraftwerks anstelle von Darme nach Lingen zu holen. Darme hingegen hätte aus dem „Kernkraftwerk Lingen“ gerne ein „Kernkraftwerk Darme“ gemacht. Die Geschäftsführer lehnten beide Forderungen ab.
Finanziell unterstützt wurde der Bau durch ein Bankenkonsortium von Deutscher Bank, Commerzbank, Dresdner Bank und der Landesbank für Westfalen Girozentrale. Die Bunderepublik gewährte Zuschüsse von 40 Mio. DM und beteiligte sich außerdem am finanziellen Betriebsrisiko mit bis zu 100 Mio. DM jährlich. Gerechnet wurde mit Gesamtkosten von 270 Mio. DM.
Das geplante Werk war ein Demonstrationskraftwerk. In dem kuppelförmigen Reaktorgebäude befand sich ein Siedewasserreaktor mit insgesamt 284 Brennelementen. Das Kühlwasser wurde aus einer alten, von der Schiffahrt nicht mehr benötigten Fahrt des Dortmund-Ems-Kanals entnommen und durch einen Düker unter dem Kanal in die Ems abgeleitet. Um das Kraftwerk auch bei niedrigem Wasserstand voll betreiben zu können, wurden Kühltürme errichtet. Der aus dem Reaktor strömende Dampf wurde mit einer ölbetriebenen Aufheizungsanlage von 300 auf 520 Grad erwärmt. Deshalb stand auf dem Gelände auch ein für Kernkraftwerke ungewöhnlicher 150 Meter hoher Schornstein.
Der für den 1. September 1964 geplante erste Spatenstich verzögerte sich allerdings. Einer der Gründe war, dass in Lingen mittlerweile Bedenken gegen das Kernkraftwerk laut wurden. Diese Bedenken richteten sich allerdings nicht gegen den nuklearen Teil der Anlage. Vielmehr befürchtete man, dass die bei der Verbrennung des Heizöls entstehen Schwefeldioxydabgase die Luft verunreinigen und so die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigen könnten. Als problematisch bewertete man auch, dass das in die Ems zurückgeleitete Kühlwasser Temperaturen von bis zu 28 Grad haben sollte und so das ökologische Gleichgewicht der Ems empfindlich stören könnte. In der Folge könnte es etwa zur Veralgung, zu einem allgemeinen Fischsterben oder auch zur notwendigen Schließung der beiden Badeanstalten kommen, zumal auch die Stadt Lingen und die umliegende Industrie ihre Abwässer in die Ems leiteten. Schließlich erhob die Stadt Lingen offiziell Einspruch gegen den Bau des Kernkraftwerks. Einwendungen kamen auch von den Landkreisen Meppen und Aschendorf-Hümmling sowie sieben weiteren Parteien. Aufhalten konnten sie den Bau nicht. Am 1. Oktober 1964 begannen die Bauarbeiten. Doch erst im April 1965 wurden sämtliche Einwände von der Landesregierung zurückgewiesen. Und so erfolgte die endgültige Genehmigung des Kraftwerks durch das Land Niedersachsen erst am 8. Mai 1965.
Der Erfolg des Projekts war zwischenzeitlich von ganz anderer Seite bedroht. Frankreich verweigerte die Anerkennung des Werks als gemeinsames Unternehmen im Sinne des Euratomvertrags. Die damit einhergehenden Steuererleichterungen und Vergünstigungen waren so in Gefahr. Erst als die Bundesrepublik ihre Beteiligung am Bau des deutsch-französischen Kernkraftwerks Fessenheim zusagte, lenkte Frankreich ein. Die Bauarbeiten schritten indes voran. Ende Juli 1967 trafen die ersten Brennelemente ein, und am 31. Januar 1968, vor rund fünfzig Jahren also, wurde der Reaktor zum ersten Mal kritisch.
Quellen und Literatur