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Es war vor 625 Jahren. Am 2. Februar 1394 übertrug Kunne Ghelingk ihr in Darme, Kirchspiel Schepsdorf, gelegenes Erbe „Dyderkes Hus to Nyemannigh“ der Lingener Kirche und dem dort angesiedelten Frühmesselehn. Die Kirche befand sich damals noch mitten auf dem Marktplatz und war der heiligen Walburga geweiht. Im Gegenzug sollte der Pfarrer jeden Montag eine Messe lesen und der Frühmesseherr jeden Mittwoch eine Seelenmesse für Kunnes Familie halten. Unter den Zeugen war auch der Lingener Stadtrat („de raed van Linghe“), und zwar namentlich Hermen de Becker, Bernd van Suttorpe, Lampeke tor Kulen und Johan tor Luet. Sie waren zugleich auch Schöffen und Kurgenossen des Gerichts, also Beisitzer des Richters. Und entsprechend bekundeten sie in der 1394 ausgestellten Urkunde: „So hebben wy, scheppenen vnd raed (…) vnse inghezeghele an desse openen brif ghehanghen“.
Ihr Siegel hingen sie tatsächlich an diese Urkunde. Der Siegelabdruck ist bis heute erhalten und stellt damit den ältesten Nachweis für das Siegel der Stadt Lingen dar. Es zeigt einen großen Turm, der von zwei kleineren Türmen eingerahmt ist, und verweist damit auf die Befestigungsanlagen als Symbol für den städtischen Charakter von Lingen. Immerhin hatte das Lingener Stadtrecht schon 1366 als Vorbild für Bevergern gedient. Die beliebte Interpretation, die drei Türme wiesen auf die drei Lingener Stadttore Burgtor, Lookentor und Mühlentor, ist hingegen wenig wahrscheinlich. Türme sind keine Tore, und die Dreizahl ist ein in der Heraldik häufig wiederkehrendes Motiv. Der untere Teil des großen Turms – das wird später noch wichtig – erscheint auf dem Siegel deutlich stärker ausgebaut als der oberere Teil. Die Umschrift des Siegels lautet „S’[IGILLVM] . SCHABINO[RVM] . IN . LINGHE[N]“, also „Siegel der Schöffen in Lingen“. Das ganze Siegel hat einen Durchmesser von etwa 4 cm. Ein zweiter Abdruck findet sich an einer Urkunde aus dem Jahre 1521.
Beim großen Stadtbrand des Jahres 1548 wurde das Lingener Rathaus zerstört, und offenbar ging dabei auch das Siegel verloren. Danach erscheint jedenfalls ein neues Siegel, belegt für die Jahre 1564 und 1573. Dankenswerterweise zeigt das neue Siegel aber links und rechts der drei Türme die Ziffern 4 und 9. Und tatsächlich wurde das Siegel 1549, ein Jahr nach dem Stadtbrand gestochen. Das beweisen die Kämmereirechnungen. Dort sind für das Rechnungsjahr 1549/50 Ausgaben von 5 Schillingen und 2 Pfennigen belegt für das Drucken eines neuen Stadtsekretsiegels („dat stadt secreyt zegell to drucken“). Wenn man ein Siegel hat, braucht man auch Siegelwachs („segel was“). Und den bezog die Stadt Lingen nach Ausweis derselben Rechnung aus dem Kloster Frenswegen. Mit nur etwa 3 cm Durchmesser ist das neue Siegel kleiner als das alte. Es trägt eine andere Umschrift: „S(IGILLVM) SIVITATIS LINGHE“, also Siegel der Stadt Lingen. Und es ist verkehrt herum. Denn der stark ausgebaute untere Teil des großen Turms befindet sich jetzt plötzlich an seinen Zinnen. Das Siegel wurde auch nicht lange geführt, denn spätestens 1597 wird es von einem dritten Siegel abgelöst, das während des 17. Jahrhunderts in Gebrauch blieb.
Im 18. Jahrhundert kam erstmals ein Siegel auf, bei dem alle drei Türme gleich hoch waren. Überliefert ist etwa ein Siegelabdruck von 1740. Es zeigt in rotem Siegelwachs das Wappen mit zwei Löwen als Schildhalter. Die Umschrift lautet – wie schon bei seinem Vorgänger – „SIGILLVM CIVITATIS LINGENSIS“. Das neue Siegel scheint nach dem Übergang Lingens in den preußischen Herrschaftsbereich 1702 entstanden zu sein. Als die Stadt 1711/12 den Lingener Goldschmied Jan Thiel für das Stechen eines silbernen Stadtsiegels bezahlte, dürfte es sich um genau dieses Siegel gehandelt haben.
Die drei Türme bilden noch heute – inzwischen wieder in unterschiedlicher Höhe – das Lingener Stadtwappen. Das Siegel von 1597 aber erlebte eine kleine Renaissance, als 1975 anlässlich der 1000-Jahr-Feier der Stadt eine Gedenkmünze gedruckt wurde. Sie nahm das alte Siegelmotiv wieder auf.
Was die Stadt Lingen übrigens niemals besessen hat, ist ein Siegel mit Ochsenkopf, obwohl dies die ältere Forschung gerne behauptete. Der Siegelabdruck, auf den man sich bezog, stammte aus dem Jahr 1511 und existiert heute offenbar nicht mehr. Die Hausmarken aber, die sich rechts und links vom Ochsenkopf befunden haben sollen, verweisen eindeutig auf ein Privatsiegel.
Quellen und Literatur