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Am 3. November 1918 erhoben sich die Kieler Matrosen. Die Kieler Arbeiter schlossen sich an, und bald breitete sich der Aufstand im ganzen Reich aus. Am 9. November verkündete Reichskanzler Ebert die Abdankung des Kaisers, Scheidemann rief die deutsche Republik aus und Liebknecht eine freie sozialistische Republik. Wilhelm II. flüchtete in die Niederlande. Überall bildeten sich nun Arbeiter- und Soldatenräte und übernahmen die Macht, so etwa am 6. November in Hamburg, am 7. November in München. Am 9. November gründeten auch die in Lingen stationierten Truppen einen Soldatenrat, worüber aber zunächst nur Gerüchte kursierten. Am 10. November, einem Sonntag, versammelten sich auf Einladung der Lingener Eisenbahnergewerkschaften über tausend Personen im Hotel Nave und klagten über die ungleiche Verteilung von Lebensmitteln in der Stadt. Gefordert wurde auch die sofortige Freilassung politischer Gefangener und wegen Disziplinarvergehen verurteilter Soldaten. Tatsächlich wurden am nächsten Morgen neun Gefangene aus dem Lingener Gefängnis befreit. Aus der Mitte der Versammlung wurde schließlich ein Arbeiterrat gebildet. Alle sieben Mitglieder waren Arbeiter im Ausbesserungswerk. Den Vorsitz übernahm der Tischler und christliche Gewerkschafter Knospe. Damit lag auch in Lingen die öffentliche Gewalt in der Hand eines Arbeiter- und Soldatenrates. Es war das erste Mal, dass in Lingen Arbeiter entscheidenden Einfluss auf die Politik erhielten.
Schließlich zog die Versammlung in einem großen Demonstrationszug und unter der Musik der Landsturmkompagnie durch die Straßen der Stadt. Auch Frauen und Kinder nahmen daran teil. Plötzlich erschollen Explosionen. Jugendliche hatten Böller gezündet und die Umziehenden damit empfindlich schockiert. Noch am Abend traf in Lingen die Nachricht von den Deutschland gestellten Waffenstillstandsbedingungen ein, Bedingungen, die nach Meinung des Lingener Volksboten „in der haßerfüllten Hölle nicht schlimmer ersonnen“ hätten werden können. So herrschte nach dem Umzug eine doch stark gedrückte Stimmung.
Am 12. November traten die städtischen Kollegien zusammen und arrangierten sich mit dem Arbeiter- und Soldatenrat. Sie bewilligten sogar Gelder für seine Unterstützung, erklärten aber auch, dass sie ihn lediglich als Übergang vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat sahen, nicht jedoch als Keim einer neuen sozialistischen Ordnung.
Am 13. November erklärte der Arbeiter- und Soldatenrat, dass er die öffentliche Ruhe aufrechterhalten werde und die Behörden ihre Tätigkeit weiterhin ausüben würden. Eine wesentliche Aufgabe des Rates solle außerdem die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung sein. In der Öffentlichkeit sollten alle Organe des Rates durch weiße Binden erkennbar sein. Die Geschäftsräume des Rates waren inzwischen im Lokal Heskamp („Bogenhaus“, Marienstraße 11) eingerichtet. Am Abend desselben Tages beschloss der Rat, die bestehenden Gesetze unangetastet zu lassen und sich lediglich in Ausnahmefällen ein Eingreifen vorzubehalten. Tatsächlich ließ der Arbeiter- und Soldatenrat längst rechtlich höchst fragwürdige Hausdurchsuchungen durchführen, um Lebensmittel zu akquirieren. Dass dabei offenbar nur gegen bestimmte Berufsgruppen vorgegangen wurde, stieß beim Lingenschen Wochenblatt auf deutliche Kritik. Da das konservativ-monarchistische Wochenblatt unter Wilhelm Pernutz auch sonst regelmäßig gegen die Revolution und die Lebensmittelrevisionen des AuS-Rates polemisierte, erregte es seinerseits den Zorn der Arbeiter, die schließlich versuchten, die Druckerei des Wochenblattes zu stürmen. Erst durch das Eingreifen des Polizeikommissars Gilles beruhigte sich die Situation wieder.
Allgemeine Kritik gab es auch an der Zusammensetzung des Arbeiter- und Soldatenrates. Mancher sah in ihm lediglich eine Vertretung der Arbeiter des Ausbesserungswerks, entsprechend forderten auch andere Klassen ein Mitspracherecht. Und so beschloss der Rat am 14. November, sich zu erweitern. Zusätzlich aufgenommen wurden wenig später Vertreter des Beamtentums, des selbständigen Handwerk, der Kaufmannschaft und des Bürgervorsteherkollegiums. Damit war der Arbeiter- und Soldatenrat endgültig in das bestehende System eingebunden. Eine politische Radikalisierung des Rates war spätestens jetzt ausgeschlossen. Landrat Pantenburg – rechtsgerichtet und noch immer kaisertreu – stand dem Rat dennoch skeptisch gegenüber. Er sah in ihm, obwohl dort zentrumsnahe Gewerkschafter die Leitung übernommen hatten, den Sozialismus am Werk. Als Gegengewicht betrieb er im Umland von Lingen deshalb die Bildung eines Bauernrates, der fortan gemeinsam und gleichberechtigt mit dem Arbeiter- und Soldatenrat Beschlüsse fassen sollte.
Am 4. Februar fand im Restaurant Gronemeyer die erste Vollversammlung des Arbeiter- und Soldatenrates statt. Vorsitzender Knospe wurde in seinem Amt bestätigt und zog eine positive Bilanz: Durch vorsichtiges, taktvolles, wo nötig auch energisches Verhalten sei es gelungen, die Ruhe und Ordnung in der Stadt zu bewahren. Die Neuwahlen am 16. März bescherten dem AuS-Rat einen Linksruck. Unter Richard Uhle übernahmen nun die Sozialdemokraten die Führung im Rat. Das Verhältnis zum Landrat war dadurch freilich nicht weniger gespannt. Anfang April zogen rund 2000 Arbeiter des Ausbesserungswerks zum Landratsamt, wo eine zwölfköpfige Kommission eine Stunde lang mit Pantenburg um die Lebensmittelversorgung verhandelte. Bei anderen Gelegenheiten ging es um die Unterbringung eines Ratsmitglieds im Landratsamt oder die Auflösung der gegen die Arbeiterschaft gerichteten ländlichen Bürgerwehren.
Seit den Kommunalwahlen im März 1919 hatte der Arbeiter- und Soldatenrat zunehmend an Einfluss verloren. Im Herbst 1919 sollte er erneut gewählt werden. Doch dazu kam es nicht mehr. Am 21. September 1919 beendete der bäuerlich dominierte Lingener Kreistag die finanzielle Unterstützung des Lingener Arbeiter- und Soldatenrates. Damit war er nicht mehr in der Lage, seinen Aufgaben nachzukommen. Im Oktober löste er sich auf.
Quellen und Literatur