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Archivalie - April 2015

Konrad Adenauer in Lingen

Bundeskanzler Adenauer erreicht den Lingener Marktplatz.

Es war vor sechzig Jahren. Westdeutschland diskutiert gerade über die Wiederaufrüstung, den Nato-Beitritt – und über das 1933 zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl geschlossene Reichskonkordat. Dieses Konkordat hat das von der SPD regierte Land Niedersachsen in seinem neuen Schulgesetz, das konfessionsübergreifend die „christliche Schule“ zur Regelschule erklärt, offenbar missachtet und gerät darüber mit der CDU-geführten Bundesregierung in Streit. Die Bundesregierung ruft schließlich im März 1955 das Bundesverfassungsgericht an. Und zugleich befindet man sich im Wahlkampf: am 24. April 1955 stehen in Niedersachsen Landtagswahlen an. In Lingen machen derweil Gerüchte die Runde. Man spricht von einem Besuch des Kanzlers. Schließlich setzt eine kurze Pressenotiz allen Gerüchten ein Ende: „Herr Dr. Adenauer wird am Freitag, dem 15. April 1955, in seiner Eigenschaft als Bundeskanzler durch die Stadt Lingen im Rathaus empfangen.“

Bereits um 13 Uhr wird die Innenstadt für den Verkehr gesperrt. Auch Radfahrer können nicht mehr passieren. Um etwa 14 Uhr erreicht der Sonderzug des Kanzlers den Bahnhof, von dort wird der Kanzler mit einem Mercedes 300 zum Marktplatz vorgefahren, wo er von einer Menschenmenge erwartet wird. Nachdem er von einem kleinen Mädchen mit einem Blumenstrauß empfangen wurde, nimmt er in der Mitte von Stuhlreihen in einem Sessel Platz. Dann beginnt auf dem Marktplatz – ursprünglich war als Veranstaltungsort die Wilhelmshöhe geplant gewesen – eine Wahlkampfkundgebung der CDU.

Auf der Treppe des alten Rathauses und unter einem rot-weißen Sonnendach begrüßt zunächst Clemens Hesemann, Landtagsabgeordneter der CDU, den Parteivorsitzenden Adenauer und wünscht ihm, die Wiedervereinigung noch erleben zu dürfen. Siedler Kuhr, CDU-Kandidat des Wahlkreises Lingen, erinnert an einen früheren Besuch Adenauers im Jahr 1947.

Dann betritt Konrad Adenauer die Rathaustreppe. Mit der Missachtung des Reichskonkordats, so Adenauer, habe die SPD das Elternrecht gröbstens verletzt und dem internationalen Ansehen Deutschlands geschadet, was das Bundesverfassungsgericht hoffentlich bald bestätigen werde. Weiterhin würdigt er die Eingliederung der Bundesrepublik in die westeuropäische Union und in die Nato als Friedensgarant und bekräftigt das Recht, von den Sowjets die „Rückkehr der Sowjetzone in Freiheit zu Deutschland“ zu verlangen. Mit der dritten Strophe des Deutschlandliedes endet die Kundgebung.

Gegen halb fünf dann wird Adenauer vom Stadtrat im Saal des Alten Rathauses empfangen. Auch Bürgermeister Koop, Stadtdirektor Pelz, Landrat Greve und Oberkreisdirektor Kribben sind anwesend. Während Bürgermeister Koop den Emslandplan lobt und der Hoffnung Ausdruck gibt, dass auch die Stadt Lingen in Zukunft dessen Auswirkungen teilhaftig werden möge, lobt Kanzler Adenauer die Freuden der Kommunalarbeit. Dann trägt sich der Kanzler ins Goldene Buch der Stadt ein. Weiterhin erkundigt er sich nach der Bedeutung des Stadtwappens und der Erdöl-Raffinerie in Holthausen. Angesichts des schon jetzt angedachten, aber bisher kaum finanzierbaren Rathausneubaus äußert Adenauer allerdings die Ansicht, es sei besser, in einem alten Gebäude zu verbleiben. Schließlich verabschiedet sich der Kanzler von den Ratsherren.

Aus der Landtagswahl am 24. April wird die SPD zwar als mit Abstand stärkste Partei hervorgehen, den Ministerpräsidenten stellt aber fortan erstmals die Deutsche Partei. Am 5. Mai tritt die Westeuropäische Union in Kraft. Am 9. Mai tritt Westdeutschland der Nato bei, was unmittelbar zur Gründung des Warschauer Pakts nur wenige Tage später führt. In Sachen Reichskonkordat hingegen wird das Bundesverfassungsgericht noch fast zwei Jahre benötigen, bis es zu einer Entscheidung kommt. Der Antrag der Bundesregierung wird schließlich abgelehnt.

Quellen und Literatur

  • Stadtarchiv Lingen, Fotosammlung, Nr. 5854, 5857 sowie 5886.
  • Stadtarchiv Lingen, Lingener Volksbote, Osterausgabe 1955
  • Stadtarchiv Lingen, Lingener Volksbote, 14. April sowie 16. April 1955.


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