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Eine dauerhafte Begleiterscheinung des Ersten Weltkrieges war die enorme Knappheit an Nahrungsmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs. 1916 wurden in Lingen Fleisch- und Lebensmittelkarten eingeführt, und auf dem Marktplatz wurde eine Milchverkaufsstelle errichtet. Ab dem 28. September 1916 konnten dort die Bewohner des inneren Stadtgebietes zwischen 8 und 12 Uhr sowie zwischen 14 und 17 Uhr Milch erwerben.
Bereits sehr früh aber – nur wenige Monate nach Kriegsausbruch – zeichnete sich ein Mangel an Mehl und Brot ab. Im Februar 1915 wurden alle Vorräte an Mehl und Getreide beschlagnahmt. Das Verfüttern von Brotgetreide wurde bei einer Strafe von bis zu einem Jahr Gefängnis verboten, und jedem war nur der Verzehr von maximal zwei Kilogramm Brot und Mehl pro Woche erlaubt. Andernfalls hatte er mit bis zu sechs Monaten Gefängnis zu rechnen. Um den Brotverzehr kontrollieren zu können, waren die Bäcker angehalten, über die an die einzelnen Haushalte verkaufte Brotmenge Aufzeichnungen zu machen, die danach gegeneinander abgeglichen werden mussten.
Ein zwischen dem Landrat und dem Lingener Magistrat lange strittiges Thema war die Frage, auf wie viel Mehl die Stadt Anspruch erheben konnte. Vorläufig errechnete man bei etwa 9000 Einwohnern ein Mehlkontigent von 1296 Zentnern. Unklar war aber zunächst, wie die benachbarte Landbevölkerung, wie Marktbesucher und Militärpersonen sowie die Insassen des Lazaretts und des Gefängnisses bewertet werden sollten.
Zum ersten März führte die Stadtverwaltung Brotkarten ein, die allein fortan den Erwerb von Brot und Mehl ermöglichten. Jede Marke galt zunächst für ein Kilogramm Brot oder 750 Gramm Mehl. Unterschiedliche Farben markierten die jeweilige Woche, in der die Karten eingelöst werden mussten. Den ersten roten Karten etwa folgten in der zweiten Woche blaue. Es galt, die Karten sorgsam aufzubewahren, denn verlorene Karten wurden nicht ersetzt. Die Brotkartenausgabe fand im Rathaus statt, und zwar zu Terminen, die verschiedenen Straßenbezirken zugeordnet waren. Um den Andrang bewältigen zu können, wurde empfohlen, dass die Bewohner mit niedrigen Hausnummern zuerst kommen sollten. Verminderte sich die Kopfzahl eines Haushaltes, musste dies auf dem Brotkartenbüro gemeldet und mussten entsprechend auch die überzähligen Karten abgegeben werden. Die erste Kartenausgabe dieser Art startete am 22. Februar.
Die Bäcker hatten die Marken einzusammeln und zweimal im Monat dem Gemeindevorsteher abzuliefern. Das ganze Verfahren war unglaublich aufwändig und detailliert. Die Aufwände rechnete der Magistrat dem Landrat in einem Brief vor: Da die Lingener Wochenbrotkarte für eine Person zehn Einzelteile enthielt, fielen bei einer Bevölkerungszahl von 9000 also wöchentlich 90.000 Teilstücke oder monatlich etwa 405.000 Teilstücke an – die Brotmarken der benachbarten Landgemeinden noch gar nicht mitgerechnet – deren Auszählung durch eine Person bis zu 14 Tage in Anspruch nahm.
Durch ständige Veränderungen der Einwohner- und Besucherzahl mussten die Ansprüche jeden Monat neu berechnet werden. Im März wurden 8778 Karten ausgegeben, im April 9236, im Juni 7998. Davon gingen – zumindest anfangs – 985 Karten an in Bürgerquartieren untergebrachte Militärpersonen des Landsturms. Engpässe blieben nicht aus. Mitte Juni 1915 verkündete der Magistrat, dass die Weizenmehlvorräte der Stadt seit mehreren Tagen erschöpft seien und sich die Klagen über den eingetretenen Mangel häuften, und er bat den Landrat – nicht zum ersten Mal – um eine Erhöhung der nicht ausreichenden bisher überwiesenen Mehlmenge.
Besonders problematisch waren aus Sicht des Magistrats die für einen Monat geltenden Kreisbrotmarken der Landgemeinden, die bei Lingener Bäckern eingetauscht wurden. Diese trugen keine Wertaufschrift und wurden oft falsch eingesetzt. Ein weiteres Problem war, dass viele Leute ihr Brot sobald und in so großen Mengen wie möglich kauften und später Kommende das Nachsehen hatten. Der Magistrat versuchte dem entgegenzuwirken, indem er die Brotausgabe noch stärker rationierte und ab dem 16. Oktober 1915 die Form der Brotkarten entsprechend änderte. Das führte allerdings dazu, dass die zu dieser Zeit traditionell betriebene Zubereitung von „Wurstebrot“, für das nicht nur Schweineblut und Fett, sondern auch größere Mengen von Roggenschrotmehl benötigt wurden, gefährdet war. Deshalb konnten Personen, die ein Schwein geschlachtet hatten, vom Schlachthausinspektor im Dezember besondere gelbe Scheine beziehen, die zum Erwerb größerer Mengen Roggenschrot berechtigten.
Im September 1915 fand man endlich auch eine verbindliche Form der Bedarfsberechnung. Die Mehlüberweisungen an die Stadt sollten sich fortan nach der Zahl der für den vergangenen Monat ausgegebenen städtischen Brotkarten und abgelieferten ländlichen Brotkarten richten. Die Brotkarten der Militärpersonen und Lazarettinsassen zählten dabei nicht, da für sie die Stadt das Mehl vom Proviantamt ersetzt bekommen sollte. Einfacher wurden die monatlichen Berechnungen dadurch nicht. Auf eine vom Landrat angestellte Berechnung antwortete der Magistrat im Januar 1916, sie sei derart kompliziert, dass „wir derselben trotz angelegentlichsten Bemühens nicht in allen Teilen zu folgen vermochten“.
Quellen und Literatur