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Zu den großen Fabriken, die in Lingen im Zuge der Industrialisierung entstanden, gehörte auch die Eisengießerei und Maschinenfabrik Windhoff, Deeters & Co. auf dem Gelände des späteren Viehmarktes an der Alten Rheiner Straße. Gegründet wurde sie 1857 unter dem Namen Hermanni, Jüngst & Co., nachdem in der Grafschaft Bentheim größere Rasenerzvorkommen entdeckt worden waren. Ziel war es, nicht nur eine Eisenhütte zu errichten, sondern das Roheisen in einer dazugehörigen Fabrik gleich zu verschiedenen Guß- und Schmiedewaren weiterzuverarbeiten, so etwa landwirtschaftliche Geräte, Dampfmaschinen, Turbinen oder Öfen.
Die Anfänge jedoch verliefen eher schleppend. Wegen ihres Missmanagements setzte die Generalversammlung 1862/63 Hermanni und Jüngst schließlich ab und fundierte die Gesellschaft mit dem Hüttendirektor Rudolph Windhoff und dem Fabrikanten Heinrich Deeters neu.
Von nun an ging es steil aufwärts. Das Unternehmen wuchs, neue Gebäude wurden errichtet, die Arbeitsmaschinen galten als besonders effizient und leistungsfähig. Die Rohprodukte wurden günstig aus Westfalen, Belgien und England bezogen, die Endprodukte in die Ostseeprovinzen und nach Russland, aber auch innerhalb Deutschlands und Österreichs verkauft. Besondere Beachtung fand der Bau einer Flussbrücke bei Tilsit in Ostpreußen. Allein von 1871 bis 1875 hat sich die Produktion mehr als verdoppelt. Entsprechend stieg auch die Zahl der Arbeiter von 87 (1864) auf 140 (1870) und schließlich auf etwa 300 (1877). Es waren zumeist Schlosser, Schmiede, Dreher und Former. 1877 erhielten sie einen Wochenlohn von rund 13,30 Mark.
Dem Aufstieg folgte ein noch schnellerer Abstieg. Im Zuge der Industrialisierung waren allerorts zahlreiche, zum Teil hoch spekulative Aktiengesellschaften gegründet worden. 1873 platzte die Blase, die Wiener Börse brach zusammen und löste eine weltweite Deflation aus. Die Eisengießerei in Lingen zeigte sich von der Krise zunächst völlig unbeeindruckt. Als ein Brand einige Gebäude auf dem Fabrikgelände vernichtet hatte, liefen die Geschäfte noch so gut, dass man noch größer wieder aufbaute. Der Neubau konnte allerdings nicht allein aus eigenen Mitteln finanziert werden, und so nahm man bei der Bank einen erheblichen Kredit auf. In Folge des Wiener Bankenkrachs ist der Kredit jedoch geplatzt. Um verschiedene Großaufträge übernehmen zu können, hatte sich die Firma ebenfalls massiv verschuldet. Die Firma konzentrierte sich nun ganz auf den Brückenbau, dem einzigen in der Krise noch profitablen Bereich. Fällige Zahlungen von Behörden und Gesellschaften blieben aus. Neue Kreditaufnahmen waren krisenbedingt kaum mehr möglich. Die Auftragsbücher waren voll, allein das Geld fehlte. Die Vorstandsmitglieder pumpten Geld aus ihrem Privatvermögen in das Unternehmen, doch auch das half nur kurzfristig. In ihrer Not gaben die Gesellschafter Prioritätsstammanteile heraus, von denen auch Bürgermeister von Beesten einige erwarb. Mit ihm stand die Firma nun in ständigem Briefkontakt. Retten konnte sie das nicht mehr.
Im Februar 1878 meldete die Eisengießerei Konkurs an. In der Hoffnung auf einen Käufer wurde der Betrieb von der Konkursleitung noch einige Monate weitergeführt, aber bald war klar, dass das Werk völlig stillgelegt werden musste. Schrittweise wurden nun die 300 Beschäftigten entlassen. Die endgültige Schließung erfolgte dann Anfang 1879. Insgesamt verloren so fast 1000 Personen ihre Existenz. Allein unter den 163 Arbeitern der Eisenhütte waren 109 Familienväter mit insgesamt 262 Kindern.
Im September wurde ein Komitee gegründet mit dem Ziel, für neue Arbeitsmöglichkeiten zu sorgen. In einem langen Brief an den Handelsminister bat das Komitee inständig um neue Arbeitsstellen im Ausbesserungswerk, lobte die Lingener Arbeiter über alle Maßen und hob besonders hervor, dass „es den Sozialdemokraten bishin nicht gelungen (ist), in den hiesigen Arbeiterkreisen irgendwelche Propaganda zu machen.“ Das war zwar falsch – sozialdemokratische Zeitschriften waren in Lingen weit verbreitet, und 1872 hat sich ein Streik im Ausbesserungswerk fast auch auf die Eisengießerei ausgeweitet – geholfen hat es trotzdem nichts.
Zwar fanden einige Arbeiter tatsächlich im Ausbesserungswerk Anstellung, doch viele andere waren noch Jahre später arbeitslos. Einige wurden von der Stadt kurzzeitig für 1,20 Mark Tageslohn bei Erdarbeiten eingesetzt. Außerdem gab es bald eine von Spenden getragene Volksküche mit kostenlosen Mahlzeiten, und zwar trotz des Protestes des Lingener Wochenblattes, das dadurch „die Kraft zur Selbsthilfe bei den Armen (…) erlahmen“ sah. „Viele der ganz Bedürftigen (…) verdanken sich selber ihre Nothlage. Die Genußsucht muß gemindert (…) werden.“ Und die, die in Lingen keine Arbeit fänden, so das Wochenblatt, müssten eben „anderswo solche suchen.“
Erst 1883 waren die meisten Entlassenen in Arbeit gekommen oder tatsächlich weggezogen. Allein in den ersten zwei Jahren nach dem Konkurs fiel die Bevölkerungszahl der Stadt von rund 6000 auf unter 5800.
Quellen und Literatur