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Archivalie – November 2014

Die Lingener Synagoge

Die Lingener Synagoge am Gertrudenweg (heute Synagogenstraße)

Bis 1869 sind die Lingener Juden Teil der Synagogengemeinde Freren. Als diese 1844 gegründet wird, unterstützen sie das Vorhaben. Für den Bau einer eigenen Synagoge fehlt das Geld. In Freren nutzen sie gemeinsam mit ihren Glaubensgenossen aus Freren, Lengerich, Thuine und Fürstenau einen Gebetsraum im Hause des Vorstehers Joseph Weinberg.
 
Inzwischen aber hat die Zahl der jüdischen Familien in Lingen zugenommen, und so fasst man 1867 den Beschluss, sich von der Frerener Gemeinde zu trennen und eine eigenständige Lingener Gemeinde zu gründen. Doch es bedarf noch zweijähriger Verhandlungen, bevor das Landrabbinat Emden, dem auch die Frerener Gemeinde unterstellt ist, die neue Gemeinde genehmigt und dem Lingener Stadtrat im Dezember 1869 einen Statutenentwurf vorlegt. Noch im selben Jahr erfolgt die Zustimmung der Königlichen Landdrostei in Osnabrück. Zum ersten Vorsteher wird der Kaufmann Isaak Friedland gewählt.

Auch über den Bau einer Synagoge war sich die neue Gemeinde bereits 1869 einig geworden. Dafür wurde extra ein eigener Fond eingerichtet. Doch die finanziellen Möglichkeiten verzögerten die Umsetzung, und so wurde der Gottesdienst zunächst in einem angemieteten Raum im Wohnhaus Isaak Friedlands in der Lookenstraße abgehalten.
 
1871 stellte Friedland den Plan zum Bau einer Synagoge dem Stadtrat vor und rechnete mit Kosten von 1000 bis 1500 Talern. Der Stadtrat befürwortete den Bau, die Landdrostei Osnabrück aber bezweifelte die Finanzierbarkeit des Vorhabens. Auf der wenige Wochen später stattfindenden Gemeinde-Versammlung sah sich Friedland dem Vorwurf ausgesetzt, die Sache nicht mit dem nötigen Engagement zu betreiben, und so wurde eine Kommission gegründet, die den Bau nun vorantreiben sollte. Doch auch in den folgenden Jahren kam man dem Ziel nicht näher.

Dann aber, im September 1877, verlangte Isaak Friedland den vermieteten Gebetsraum zurück, und damit war der Synagogenbau wieder auf der Tagesordnung. Am 2. Februar 1878 trafen sich 15 Gemeindemitglieder zur gemeinsamen Sitzung und beschlossen einstimmig den Vorschlag von H. Mendel, noch in diesem Frühjahr die Bauarbeiten für die neue Synagoge aufzunehmen. Auch drei der nicht anwesenden Mitglieder stimmten am nächsten Tag zu. Nur der vierte, H. E. Hompes, erklärte sich ausdrücklich gegen den Beschluss.

Transkription Gemeindeversammlung 1878 

Tatsächlich bedeutete der Plan eine schwere finanzielle Belastung. Insgesamt 7500 Mark wollte die Synagogengemeinde für den Bau zur Verfügung stellen, musste die Synagoge dafür aber mit einer schweren Hypothek belasten. Errichtet wurde die Synagoge schließlich auf einem Gartengrundstück am Gertrudenweg (heute Synagogenstraße) vor den Toren der Stadt, das von der Familie Räkel erworben werden konnte. Auch ein eigenes Schulhaus wurde hier gebaut, nachdem der Schulunterricht zuvor ebenfalls nur in einem angemieteten Raum stattfinden konnte.

Die Synagoge wurde aus roten Ziegelsteinen errichtet. Zur Straßenseite hin waren in hebräischer Schrift die Worte aus dem Buch Exodus eingelassen: „Und sie sollen mir ein Heiligtum machen, und ich will in ihrer Mitte wohnen.“ Der durch ein schmiedeeisernes Tor erreichbare Eingang lag im hinteren Teil des Gebäudes. Im Hauptraum der Synagoge befand sich der Schrein mit den Torarollen, das ewige Licht, außerdem ein kleines Pult für den Kantor oder Vorbeter und ein größeres Pult für die Lesung der Tora. Am 19. September 1878 wurde die Synagoge feierlich eingeweiht. 1923 wurde in der Synagoge eine Gedenktafel enthüllt, die an die vier im Ersten Weltkrieg gefallenen Gemeindemitglieder erinnerte.

Begleitet wurden die Bauarbeiten an der Synagoge von antisemitischen Anekdoten und gehässigen Kommentaren des „Lingener Volksboten“. Über Monate hinweg machte das zentrumsnahe Blatt so Stimmung gegen die jüdische Bevölkerung. Einen Monat vor der Einweihung wurde der Redakteur der Zeitung, nachdem er die Lingener Juden ungerechtfertigt des Diebstahls bezichtigt hatte, zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Dennoch setzten der Volksbote und später der im selben Verlag erscheinende „Westfälische Bauernkalender“ die polemischen Angriffe fort. In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die Synagoge von Lingener SA-Männern in Brand gesteckt. Die mit großer Verspätung erschienene Feuerwehr beschränkte sich darauf, ein Übergreifen des Feuers auf die Nachbargebäude zu verhindern. So wurde die Lingener Synagoge vollständig zerstört.

Das Stadtarchiv Lingen erinnert mit dieser Archivalie des Monats an den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 9. November.

Quellen und Literatur

  • Stadtarchiv Lingen, Altes Archiv Nr. 2082.
  • Stadtarchiv Lingen, Fotosammlung.
  • Arbeitskreis Judentum Christentum/ Pax Christi Gruppe Lingen (Hg.): Verfolgt – Emigriert – Ermordet. Emigrantenschicksale Lingener Juden. Reader zur Ausstellung. 25. April – 9. Mai 1996 im Emslandmuseum Lingen, Lingen 1996.
  • Garmann, Josef: Untersuchungen zur Geschichte der Juden in der Emsstadt Lingen bis zum Ende des I. Weltkrieges, , Münster 1968.
  • Remling, Ludwig: Art. „Lingen“, in: Obenaus, Herbert (Hg.): Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Göttingen 2005, S. 993-1001.


Fotos v.o.n.u.: Stadtarchiv, Stadtarchiv, Stadtarchiv