Unter der niederländischen Herrschaft erlebte Lingen Mitte des 17. Jahrhunderts einen Bauboom. Errichtet wurden unter anderem das Haus Hellmann, das Drostenamtshaus und das Palais Danckelmann. Bisher wurde vermutet, dass mit den ersten Erwähnungen eines Lingener Postverwalters um 1653 auch der Grundstein für die Alte Posthalterei gelegt wurde. Doch diese These ist kaum zu halten. Gelegen auf der nordwestlichen Ecke des Marktplatzes, bildet das Gebäude eine eigenartige Verbindung zwischen einem traditionellen Fachwerkbau und einem barocken Palais. Architektonisch ähnelt es dem 1685 unter Heinrich Pontanus errichteten Professorenhaus. Und tatsächlich ist der Zusammenhang mit der Familie Pontanus größer als bisher angenommen.
Heute hat die Alte Posthalterei die Adresse „Große Straße 1“. Doch das war nicht immer so. Im 19. Jahrhundert trug sie die Brandversicherungsnummer 174, davor die Hausnummer 153. Anfang des 18. Jahrhunderts befand sie sich in der Korporalschaft VII. So lässt sich die Geschichte des Hauses bis in diese Zeit zurückverfolgen.
Demnach ist der erste sicher nachweisbare Besitzer des Hauses 1727 der Rentmeister und Rat Albert Pontanus, der hier auch wohnte. 1656 in Burgsteinfurt geboren, war er der jüngere Bruder von Heinrich Pontanus. Im Juli 1716 wird seine Familiensituation gerichtlich bescheinigt. Demnach hatte er zu diesem Zeitpunkt einen 18 Jahre alten Sohn Carl (Carolus), einen 13jährigen Sohn Henricus und eine 11 Jahre alte Tochter namens Ernestine. Verheiratet war er mit Christina Elisabeth von Danckelmann, deren Alter mit 46 Jahren angegeben ist. Bereits 1702 hatten sich Albert und Christina Elisabeth gegenseitig als Erben eingesetzt. Nach seinem Tod am 27. September 1733 ging das Haus entsprechend auf seine Witwe über. Sie lebte, so vermerken die Register, von ihren Einkünften.
Am 19. Mai 1750 starb auch die Witwe Pontanus, und so erscheint ab 1755 Regierungsrat (Carl) Pontanus im Namen der Erben Witwe Pontanus als Besitzer des Hauses. Der 1698 geborene Carl Pontanus war Regierungsdirektor der Grafschaften Lingen und Tecklenburg und zugleich in Lingen königlicher Landrentmeister. Seine Frau Christine Catharina (1706-1774) war eine Tochter des Lingener Predigers und Theologieprofessors Johannes van Leewen. Die Aufteilung des elterlichen Erbes indes zog sich hin. 1763 erklärten die Geschwister Carl, Henrich und Ernestine Pontanus, dass sie kürzlich zwar jeweils ihren Erbanteil erhalten hätten, jedoch noch immer ungeteiltes Vermögen vorhanden sei.
Doch scheint die Einigung immerhin soweit gediehen, dass die Alte Posthalterei nun verkauft werden konnte. Ab 1764 nämlich befindet sich das Haus im Besitz der Eheleute Determeyer, dann ab 1781 der Eheleute Altemüller. 1804 kaufte es Sophia Maria Zimmermann, eine geborene Narjes. 1817 lässt sich hier erstmals der Postmeister August Theodor Cramm nachweisen. Damit beginnt die eigentliche Geschichte der Posthalterei. Doch bereits 1856 wurde das Postamt in den nördlichen Flügel des Bahnhofsgebäudes verlegt und das Haus an den Buchhändler Wilhelm Jüngst verkauft. 1865 erwarb schließlich die Witwe Johanna Wilhelmina Kobert geb. Gerling das Haus. Sie richtete hier einen Handarbeitsladen ein, der bis in die 1970er Jahre Bestand hatte. Dann wurde es 1978 an die Stadt Lingen verkauft. Seit 1980 befindet sich hier die Restauration „Alte Posthalterei“.
Nochmal zurück an den Anfang. Vor 1727 verliert sich die Spur zwar nicht, aber sie wird doch etwas unsicherer. Doch dürfte das Grundstück der Alten Posthalterei identisch sein mit dem des sogenannten Hauses Roskamp. Besitzerin war die 1667 erstmals erwähnte Witwe Anna Roskamp, eine geborene Ronde. 1683 verkaufte ihr Sohn Plechelm Niters in ihrem Auftrag das Roskampsche Haus an den Hausvogt Berendt Rottmann. Beschrieben wurde die Lage des Hauses als gegenüber dem Rathaus gelegen und zwischen der Kirchstraße und dem Haus des Herman Hemsen (Hermsen), der damals in der Großen Straße 3 wohnte. Der Kaufpreis betrug 380 Reichstaler.
Der Hausvogt Rottmann behielt das Haus nicht lange. Nur ein Jahr später kaufte es der Papiermacher Jan Borgerinck. Als dieser 1693 starb, erbte sein gleichnamiger ältester Sohn das Haus. Die sechs anderen Söhne und Töchter des Papiermachers wurden mit Schmuck – einem goldenen Ring und einem silbernen Agnus Dei – sowie je 10 bis 15 Reichstalern abgefunden. Auch Jan Borgerinck jun. scheint das Haus bald wieder verkauft zu haben. Spätestens 1695 erscheint Christoph Bernhard Ham, seines Zeichens kurfürstlich Braunschweig-Lüneburger Rat zu Osnabrück, als Besitzer eines feudalen Hauses, bei dem es sich um die Alte Posthalterei gehandelt haben dürfte. Bewohnt wurde es seinerzeit von einer Witwe Metting – vielleicht Anna Margareta Metting, der Mutter von Christina Elisabeth Pontanus und Witwe des 1685 verstorbenen Jan Danckelmann.
Christoph Bernhard Ham schloss am 1. Juni 1695 mit Albert Pontanus einen sechsjährigen Pachtvertrag über dieses Haus mitsamt Hof und Scheune. Fortan war es das Wohnhaus von Albert Pontanus und seiner Frau. Am 20. Mai 1696 wurde der Pachtvertrag dahingehend ergänzt, als dass Albert Pontanus nun ein Vorkaufsrecht auf das Haus eingeräumt wurde. Am 22. November 1697 schließlich bekräftigte Albert Pontanus sein Interesse, das Haus zu kaufen, und auch Christoff Bernhard Hamm war einem Verkauf nicht abgeneigt und verpflichtete sich, das Haus für die nächsten zehn Jahre an keinen anderen zu verkaufen.
In den nächsten Jahren erfolgte wohl der Verkauf des Hauses, und vielleicht ließe sich vermuten, dass das alte Gebäude nun abgerissen und eben jenes Haus gebaut wurde, das heute noch steht und das sich architektonisch an das 1685 von Alberts Bruder Heinrich Pontanus in Auftrag gegebene Professorenhaus orientierte. Die architektonischen Ähnlichkeiten beider Gebäude einerseits und die Verwandtschaft der beiden Brüder andererseits wären jedenfalls ein merkwürdiger Zufall. Doch ein solcher Neubau ist nicht mehr als nur eine Spekulation, und auch andere Szenarien wären vorstellbar. Endgültige Klarheit über das Alter der Alten Posthalterei kann wohl nur eine dendrochronologische Untersuchung des Gebäudes erbringen.
Quellen und Literatur