„Ich bin als Bundespräsident heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen, den Bürgern des 1000jährigen Lingen, zu sagen: Wenn Sie Ihre Stadt erhalten, wenn Sie Ihre Stadt verschönern und wenn Sie Ihre Stadt entwickeln, dann ist das ein Vorgang, der uns alle freut, der uns allen hilft und der uns alle weiterbringt. Und damit verbinde ich meine Wünsche für die nächsten Dezennien, für die nächsten Jahrhunderte, ja für das nächste Jahrtausend, das vor Ihnen liegt.“
Mit diesen Worten schließt Walter Scheel seine Rede, die er am Freitag, dem 16. Mai 1975, an die Lingener Bürger gerichtet hat. Zuvor hat er die Erfolge des Emslandplans gewürdigt und sich klar zur Kernkraft bekannt: „Jedem Einsichtigen ist aber klar, daß wir zur Sicherung unserer Energieversorgung zunehmend auch Kernkraftwerke benötigen.“
Bereits gegen halb elf war der Bundespräsident mit einem Hubschrauber auf dem Laxtener Sportplatz gelandet, wo er – wie zuvor schon der Niedersächsische Ministerpräsident Alfred Kubel – von Bürgermeister Klukkert empfangen wurde. Mit einem Mercedes 600 ging es dann gemeinsam zur Wilhelmshöhe, wo sie bereits von einer großen Menschenmenge erwartet wurden.
Hier hielt zunächst Bürgermeister Klukkert seine durchaus humorvolle Begrüßungsrede, in der er auch auf die aktuellen Diskussionen um die Kreisreform anspielte. Diese Kreisreform sah auch einen Zusammenschluss der Landkreise Lingen und Grafschaft Bentheim vor. Kreissitz sollte Nordhorn werden. Die Stadt Lingen wollte jedoch, wie ihr Rat bereits im Februar verkünden ließ, ihren Kreisstadtstatus nicht preisgeben und wurde seit einigen Wochen dahingehend auch von Regierungspräsident Zürlik unterstützt. Ein Argument in der Diskussion war die historische Zentralfunktion der Stadt. Durch die 1000-Jahr-Feier ließ sich dieses Argument eindrucksvoll verdeutlichen. Und entsprechend äußerte sich nun auch Bürgermeister Klukkert: „Für die frühere Grafschaft Lingen und den jetzigen Kreis waren wir immer Hauptstadt. Nach der Kreisreform allerdings sollen wir es ab 1001 unserer Geschichte nicht mehr sein. Das verstehe wer will, wir verstehen es nicht.“
Nach seiner Rede überreichte Klukkert dem Präsidenten eine Gedenkmünze zur 1000-Jahr-Feier und ein Zinntellerchen mit dem Abbild des Alten Rathauses, welches sich, so Klukkert, „prima als Untersatz für eine gute Flasche Elsässer Wein“ verwenden ließe. Als Redner schlossen sich nun, wie schon erwähnt, Walter Scheel und nach ihm auch Alfred Kubel an. Und schließlich überreichte Dr. Ehbrecht dem Bürgermeister die jüngst vom münsterischen Institut für vergleichende Städtegeschichte erarbeitete Geschichte der Stadt Lingen. Nach dem obligatorischen Eintrag ins Goldene Buch der Stadt und einer kurzen Ansprache Scheels vor den zu Tausenden auf dem Marktplatz versammelten Lingenern ging es schließlich mit dem Bus ins Industriegebiet, wo der Bundespräsident den Reaktor des Kernkraftwerks besichtigte.
Der Besuch des Bundespräsidenten war der erste Höhepunkt der Feierlichkeiten anlässlich des tausendjährigen Bestehens von Lingen. Tatsächlich wurde Lingen in einer Urkunde Ottos II. vom 25. April 975 erstmals erwähnt. Bereits am 15. Mai, einem Donnerstag, wurden die Festlichkeiten mit einer Musikshow und einem großen Feuerwerk im Emsland-Stadion eröffnet. Für den Präsidentenbesuch am Freitag bekamen die Kinder schulfrei, und im Festzelt auf dem Marktplatz fand ein Bunter Abend mit Heinz Schenk und Olivia Molina statt. Was nun folgte, war ein mehr als zweiwöchiges Festprogramm aus Konzerten, Ausstellungen und Fanfarenzügen. Am Pfingstsonntag wurde auf dem Marktplatz ein Städtequiz zwischen Lingen, Stadthagen und – bezeichnenderweise – Nordhorn gegeben, moderiert von ZDF-Quizmaster Rainer Holbe, das Lingen gewann. Es folgten ein historischer Umzug durch die Stadt und das Kivelingsfest. Am folgenden Samstag dann gastierte die Aktuelle Schaubude des NDR auf dem Marktplatz. Gäste waren etwa Bata Ilic oder Christian Anders, und auch Regierungspräsident Zürlik kam zu Wort und gab seiner Überzeugung Ausdruck, ein Kernkraftwerk sei „nicht gefährlicher als ein Auto“. Als offiziell letzten Veranstaltungspunkt wurde am 1. Juni auf der Wilhelmshöhe schließlich Jens Exlers „De Hexenhoff“ auf die Bühne gebracht, ein plattdeutsches Stück über Magie und Aberglaube.
Quellen und Literatur: