Die Familie Meyknecht gehörte im 17. und frühen 18. Jahrhundert zu den führenden Familien in Lingen. Einflussreich waren vor allem der Bürgermeister Johannes Meyknecht (*1576), sein Sohn Hermann (* um 1610), ebenfalls Bürgermeister, und dessen Sohn, der Anwalt Dr. Nicolaus Meyknecht (1656-1729). Doch viele Familienmitglieder zogen mit der Zeit in die Niederlande, zuletzt lebte nur noch die Devotesse Anna Cornelia Meyknecht in der Stadt. Und als diese 1762 starb, war die Familie in Lingen erloschen. Was die Erben Meyknecht noch an Immobilienbesitz in Lingen hatten – die Burgstraße 23, Am Markt 18/19 und das Mietshaus Karolinenstraße 7 – wurde verkauft. Sie hatten damit den Lingener Regierungsadvokaten Dr. Johannes Theodor Mum (1722-1783) beauftragt.
Auf Wunsch der Familie sollte Dr. Mum außerdem alljährlich mehrere Memorien für die verstorbenen Voreltern der Meyknechts halten lassen und nach den jeweiligen Messen sowie zu Weihnachten und Ostern Almosen an jene Armen verteilen, die an den Gottesdiensten teilgenommen hatten. Zur Finanzierung sollte er die jährlichen Zinsen verschiedener Kapitalien eintreiben, für die die Familie ihm die entsprechenden vier Urkunden aushändigte, ausgestellt auf Hermann Meyknecht (1687), Nikolaus Meyknecht (1686), Hermann Johann Meyknecht (1731) und Johanna Cornelia Meyknecht (†1776 in Groningen). Mit den Zinserträgen sollte Dr. Mum auch ein vielleicht schon um 1687 gegründetes privates Armenhaus der Familie unterhalten. Das kleine Haus stand auf dem Grundstück Karolinenstraße 8, direkt gegenüber der Gasse zwischen dem Professorenhaus und der heutigen Stadtbücherei. Hier fanden mietfrei vier arme Frauen Unterkunft, die Dr. Mum mit Korn zum Brotbacken und mit Heizmaterial zu unterstützen hatte. Auch die Begräbniskosten wurden aus den Zinseinnahmen bestritten.
In gewisser Weise hatte die Familie Meyknecht damit eine Art Stiftung ins Leben gerufen, verwaltet von Dr. Mum, ihrem Anwalt vor Ort. Und so wundert es nicht, dass sich bald die Bezeichnung Meyknecht’sche Armenstiftung einbürgerte. Rechtlich gesehen war sie das allerdings nicht. Es wurde nie eine offizielle Stiftung angemeldet, es gab keine Stiftungsurkunde, Dr. Mum verwaltete lediglich das private Eigentum seiner Klienten. Im Prinzip – so fürchtete schon Dr. Mum – hätte die Familie das Kapital jederzeit abziehen können.
1783 starb Dr. Mum. Wem die Familie Meyknecht nun die Verwaltung des Armenfonds übertrug, ist unbekannt. Später jedenfalls hatte diese Aufgabe Johannes Nikolaus Rademacher, der ab 1793 in Lingen als Kaplan tätig war. Rademaker versuchte mehrmals, Pfarrer der Bonifatiusgemeinde zu werden, galt aber als gemütskrank und soll „Anfälle schwermütiger Halluzinationen“ gehabt haben. Als er 1829 starb, übernahm der ehemalige Bürgermeister Frye die Betreuung des Fonds.
Bereits 1827 hatte sich ein gewisser Lohmann aus dem Kirchspiel Oer (nahe Recklinghausen) bei Kaplan Rademacher gemeldet. Er sei ein verarmter Lehrer, mit der Familie Meyknecht verwandt und bitte deshalb um Unterstützung aus dem Fonds. Rademacher hatte ihm daraufhin 28 Taler bewilligt. Vier Jahre später besuchten die Erben Meyknecht persönlich die Stadt, und Frye brachte die Sprache offenbar auch auf den Fall Lohmann. Jedenfalls änderten die Erben nun ihre bisherigen Bestimmungen und gaben Frye neue Instruktionen. So sollten die Memorien auch weiterhin gehalten werden, doch die Armenspenden nach der Messe entfallen. Stattdessen sollten arme Witwen, vor allem wenn sie noch kleine Kinder hätten, monatsweise mit Brotkorn versorgt werden. Wenn sich aber tatsächlich bedürftige Arme unter ihren Verwandten finden sollten, so seien diese vorzugsweise zu unterstützen.
1833 wandte sich der Verwalter des Armenfonds Recklinghausen an Frye. Auch er wollte, dass der Lehrer Lohmann aus dem Familienfonds unterstützt werde. Doch Frye hatte Zweifel. Dass Lohmann mit den Meyknechts verwandt sei, mochte ja stimmen. Aber er hatte sein Lehrergehalt, war unverheiratet und kinderlos, und wenn er wirklich bedürftig wäre, warum wurde er dann nicht aus dem Recklinghausener Armenfonds unterstützt? Frye forderte also ein Armutszeugnis für Lohmann, das der Recklinghausener Pfarrer auch tatsächlich ausstellte. Überzeugt war Frye dadurch nicht. Erst als Frye 1840 erfuhr, dass Lohmann wegen Altersschwäche nicht mehr als Lehrer arbeiten könne und von seinem Nachfolger unterhalten werden müsse, gewährte er ab 1841 eine jährliche Unterstützung von 20 Reichstalern. Und das, so betonte Frye, obwohl der ganze Fonds jährlich nur 90 Reichstaler abwerfe, mit denen nicht nur die vier Bewohnerinnen des Armenhauses und weitere arme Witwen unterstützt, sondern auch das Armenhaus in Dach und Fach erhalten werden müsse.
Durch den Fall Lohmann aufmerksam geworden, interessierte sich inzwischen auch die Landdrostei in Osnabrück für den Meyknecht’schen Armenfonds. 1841 forderte sie vom Magistrat eine Abschrift der Stiftungsurkunde. Der antwortete, dass der Fonds niemals in öffentlicher Trägerschaft gestanden habe und verwies auf Frye. Und Frye suchte nun in seinen Unterlagen und erlebte eine Überraschung: „Obwohl die Meyknechtschen Erben bei ihrem persönlichen Hiersein von dem Hause und den Capitalien stets als von ihrem Privat-Eigenthum, worüber sie ganz nach Willkühr verfügen und selbst das Ganze von hier wegziehen könnten, sprachen, so stand ich doch immer in dem Wahne, daß es eine (zwar nicht ausschließlich an Lingen gebundene) Familienstiftung sey, bis ich jetzt nach Auffindung der beiden anliegenden Urkunden mich von dem Gegentheile überzeugt und gefunden, daß gar keine Stiftung vorhanden, sondern das Ganze Eigenthum der Meyknechtschen Erben sei, welche als reiche in Holland wohnende Leute hier, wo ihre Vor-Eltern ehemals gewohnt haben, für die Seelen-Ruhe derselben jährlich Memorien abhalten und Austheilungen an die Armen machen lassen wollen.“
Nichtsdestotrotz bestand der Armenfonds fort. Der Lingener Bürgermeister Werner von Beesten, selbst ein Nachfahre der Familie Meyknecht, berichtete 1880, dass die „Maiknecht’sche Familienstiftung“ ein kleines „Stiftungshaus“ unterhalte und inzwischen wieder vom Kaplan der katholischen Gemeinde betreut werde. Auch Ludwig Schriever, Osnabrücker Domkapitular und Lokalhistoriker, schrieb 1910 von einem „katholischen Armenhaus für vier weibliche Arme unter der Verwaltung des Kaplans“. Doch die Tage des Armenhauses waren gezählt. 1910 lassen sich dort letztmalig drei Bewohnerinnen – die Witwen Ostholthoff (+1912), Pieper (+1916) und Elting – nachweisen. 1913 befand sich die Karolinenstraße 8 dann im Besitz eines gewissen Kremers aus Groningen, vielleicht ein Nachfahre der Familie Meyknecht. Danach verliert sich die Spur des Armenhauses. Während des Ersten Weltkriegs wurden die Kapitalien des Fonds in Kriegsanleihen angelegt und dürften dadurch weitgehend vernichtet worden sein. 1927 ist der Fonds – verwaltet vom katholischen Pfarramt – letztmalig belegt. Er ist wohl wenig später eingegangen.
Quellen und Literatur