Am 21. Februar (Rosenmontag) 1944 erlebte Lingen einen der schrecklichsten Tage seiner Geschichte, nur vergleichbar mit dem großen Stadtbrand von 1548, der Explosion des Pulvermagazins unter der Burg Lingen Anfang Mai 1607 oder dem Kampf um Lingen bei der Besetzung der Stadt durch englische Truppen in der ersten Aprilwoche 1945.
Während die Stadt im zweiten Weltkrieg zunächst von Bombenabwürfen alliierter Flugzeuge weitgehend verschont geblieben war, erlitt sie am frühen Nachmittag des 21. Februar einen schweren Luftangriff mit viele Toten und Verletzten. Amerikanische Bomber warfen über dem Ausbesserungswerk und den benachbarten Wohngebieten eine größere Anzahl von Sprengbomben ab. Es wurden zwei großen Werkshallen und zahlreiche Häuser in der Stroot, im Bögengebiet und im Bereich Rheiner Straße, Unter den Linden, Lookenstraße und Gertrudenweg zerstört. Getroffen wurde auch der Tanklastwagen, der die tägliche Fördermenge aus dem neuerschlossenen Erdölfeld Dalum zum Bahnhof bringen sollte, als er gerade in den Gertrudenweg (heute Synagogenstraße) einbog. 42 Menschen fanden den Tod, 38 Schwer- und 80 Leichtverletzte waren zu versorgen. Die DRK-Helferinnen waren bis 23 Uhr im Einsatz.
Die meisten Todesopfer hatte es in den behelfsmäßigen Schutzräumen in den Kellern der Häuser gegeben. Mehrfach wurden ganze Familien ausgelöscht. Im Haus Tannenbergstraße 73 (heute Strootstraße) starben infolge eines Volltreffers eine Mutter mit ihren drei kleinen Kindern und zwei weitere Erwachsene. Im völlig zerstörten Haus Feldstraße 3 fanden ein Rentnerehepaar zusammen mit seinen beiden erwachsenen Kindern den Tod. Zu den Opfern zählten auch der greise Ehrenpräsident der Kivelinge und Bürgermeister i.R. Johannes Meyer sowie Sparkassendirektor Klaushenke mit seinem achtjährigen Sohn.
Ein traumatisches Erlebnis war der Luftangriff für die Kinder der Mädchen-Volksschule an der Marienstraße, damals Dietrich-Eckart-Schule genannt. Wie es in der Schulchronik heißt, befanden sich die Schülerinnen „seit 12 ½ Uhr mit ihren Lehrerinnen in den vorgeschriebenen Luftschutzräumen. Es war schwierig, die müden und hungrigen Kinder so zu beschäftigen, dass sie Ruhe hielten. Viele Lieder waren schon gesungen, Geschichten erzählt und Gedichte aufgesagt worden. Da hörte man kurz vor 15 Uhr starkes Motorengeräusch und furchtbare Detonationen. Man glaubte, das ganze Gebäude müsste zusammenbrechen. Die Kinder schrien regelmäßig an- und abschwellend im Chor und drängten sich um ihre Lehrerinnen.“
Wie in der Chronik weiter berichtet wird, bot sich nach dem Verlassen der Schutzräume ein schreckliches Bild. Die Häuser im benachbarten Gertrudenweg (heute Synagogenstraße) waren zerstört oder die Dächer abgedeckt, alle Fenster zertrümmert. Die Kokenmühle brannte. Unmittelbar hinter dem Schulgebäude am Stadtgraben und im Garten des Hotels Nave waren gewaltige Bombentrichter entstanden. Die Schule selbst war mit verhältnismäßig geringen Schäden davongekommen. „Die Kinder irrten nach der Entwarnung in der Stadt umher, weil sie durch die zerstörten, polizeilich abgesperrten Straßen nicht nach Haus gelangen konnten.“
Am Sonntag, dem 26. Februar fand auf der Wilhelmshöhe unter großer Anteilnahme der Bevölkerung eine öffentliche Trauerfeier statt. Die Wehrmacht, die NSDAP und ihre Gliederungen, das Deutsche Rote Kreuz und andere Organisationen waren durch Abordnungen vertreten. Der kommissarische Kreisleiter Brummerloh hielt die Trauerrede, in der er die Bevölkerung „zu mehr Opferbereitschaft und Treue zum Führer“ aufrief.
Der Angriff am 21. Februar 1944 erfolgte im Rahmen der alliierten Operation „Argument", auch „Big Week" genannt, in deren Verlauf Flugplätze und Produktionsstätten der deutschen Flugzeugindustrie zerstört werden sollten, um vor der zunächst für Anfang Mai geplanten Invasion die absolute Luftherrschaft zu erringen. Die 384. und die 446. Bombergruppe der USAAF, die in Ostengland stationiert waren, hatten an diesem Tag den Auftrag, Ziele im Raum Braunschweig und den Flugplatz Handorf bei Münster zu bombardieren. Eine geschlossene Wolkendecke über den vorgesehenen Zielgebieten verhinderte jedoch die geplanten Angriffe. Nachdem beim Abdrehen die Formationen durcheinandergeraten waren, suchten sich die einzelnen Abteilungen Ausweichziele, damit der Flug angerechnet wurde.
Drei Abteilungen wählten Lingen, weil dort der Himmel klar war. Eine Abteilung näherte sich der Stadt von Osten im Bereich der Stroot, die beiden anderen von Südosten längs der Rheiner Straße. Die anvisierten Zielpunkte waren die Halle I des Ausbesserungswerks, die große Halle des Wagenwerks und die Rangieranlagen vor dem Wagenwerk. Insgesamt warfen die 52 beteiligten Flugzeuge vom Typ Fortress B 17 und Liberator B 24 von 14.49 bis 14.56 Uhr ca. 560 Sprengbomben (500 Pfund) und 4 Rauchbomben. Wegen des kurzen Zielanflugs und infolge technischer Probleme machte sich ein Teil der Besatzungen keine besondere Mühe mit der Zielgenauigkeit. Dies ist auch der Grund für die Zerstörungen in den Wohngebieten östlich und westlich der erwähnten Zielpunkte.
Der Angriff auf Lingen am 21. Februar 1941 beruhte also mehr oder weniger auf Zufall. Er war keine geplante Aktion. Der Weg der Abteilungen zu den westlich von Lingen vorgesehenen Sammelpunkten führte über die Stadt. Bahnanlagen gehörten zu den erlaubten Ausweichzielen. Die Wetterlage ließ einen Angriff zu. Die Abteilungen nutzten die für sie günstige Gelegenheit, vor dem Verlassen des Deutschen Reiches den für die Wertung des Einsatzes notwendigen Angriff zu fliegen. Die Piloten wussten nicht, dass sie ein kriegswichtiges Ausbesserungswerk bombardierten. Sie hielten die großen Werkshallen für Lagerhäuser.
Im Laufe des Jahres 1944 erlebte Lingen weitere Luftangriffe von unterschiedlicher Stärke. Ein schweres Bombardement fand in den Mittagsstunden des 21. November statt. Es forderte 24 Todesopfer. Wiederum wurden das Strootgebiet und die Rheiner Straße schwer heimgesucht.
Quellen und Literatur